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Albrecht Dümling
Nicht demagogisch-manipulativ, sondern kritisch-durchsichtig
Der Komponist Hanns Eisler (1898-1962)

Hanns Eisler war, so Theodor W. Adorno im Jahr 1927, "der eigentlich repräsentative aus der jungen Generation von Schülern Arnold Schönbergs und einer der begabtesten jungen Komponisten schlechthin". Der Sohn des Philosophen Rudolph Eisler, am 6. Juli 1898 in Leipzig geboren, war noch als Kind nach Wien übergesiedelt, wo ihn Schönberg von 1918 bis 1923 unterrichtete. Bereits in seiner preisgekrönten Klaviersonate op.1 und den facettenreichen Klavierstücken op.3 schlug er einen eigenen Weg "zwischen rebellischer Tücke und jäher Zartheit" (Adorno) ein.

Als Eisler seine Lehrzeit bei Schönberg beendete, sah alles aus, als würde auch er eine Avantgarde-Karriere wie Anton Webern und Alban Berg einschlagen. Fünfundzwanzigjährig erhielt er auf Empfehlung seines Lehrers noch vor Berg den begehrten Verlagsvertrag sowie den Kunstpreis der Stadt Wien. Anerkannte Spezialisten wie der Pianist Eduard Steuermann oder der Geiger Rudolf Kolisch spielten seine Werke auf den Festivals von Donaueschingen, Baden-Baden und Venedig, wo Kritiker wie Theodor W. Adorno und Hans Heinz Stuckenschmidt sie mit hohem Lob bedachten. Trotz dieser Erfolge fühlte er sich nicht glücklich. In Berlin, wohin er 1925 übersiedelt war, begegnete er einer sozialen Realität, die ihm wichtiger erschien. Im Lichte dieser Erfahrung empfand er seine früheren Werke als esoterisch, wirklichkeitsfremd und sozial unredlich. Er wollte nicht nur die Musik, sondern auch die Welt verändern. Überraschend blitzt aus seinen komplexen Heine-Chören op. 10 das Zitat der „Internationale“ auf. Und im Liedzyklus "Zeitungsausschnitte" op.11 verband der Komponist aphoristische Satztechniken der zweiten Wiener Schule mit Themen des Großstadt-Alltags.

Wie Hindemith und Weill durchbrach Eisler die Beschränkung auf traditionelle Musikgattungen. Aber „Gebrauchsmusik“ nach der Art Hindemiths genügte ihm nicht. Eisler vereinfachte seine Schreibweise radikal und schuf neue Beispiele einer „angewandten Musik“, deren Zweck sich im Musizieren nicht erschöpfte. Sein Ziel war eine Aktivierung in einem weiteren, auch politischen Sinn. Es entstanden damals vielgesungene Chöre für die Arbeitermusikbewegung, kritische Balladen wie „Bürgerliche Wohltätigkeit“ und „Stempellied“ sowie Massenlieder wie das „Solidaritätslied“. Sie enthalten ein emotionalisierendes Element, das aber, wie auch der Komponist Helmut Lachenmann hervorhob, „keineswegs demagogisch-manipulativ, sondern kritisch-durchsichtig“ ist. Mit seinen Kompositionen für neue Zwecke, für Experimentalfilme, Radio, Arbeiterchöre, Theater, Kabarett und Musikpädagogik, erzielte er auch außerhalb der Konzertsäle breite Resonanz. So schrieb der Musikkritiker H.H. Stuckenschmidt 1928 über den jungen Komponisten: "Unter den Lebenden ist er einer der wirksamsten, entschiedensten und klarsten Köpfe. Denn er versucht mit Erfolg, die Musik vor dieser Gegenwart zu verantworten.“

Seine Musikalität paarte sich mit literarischem Feingefühl und einer scharfen Intelligenz. Diese Eigenschaften prädestinierten ihn zur Zusammenarbeit mit Bert Brecht, die 1930 begann und erst mit Brechts Tod 1956 endete. Mit keinem anderen Komponisten hat der Stückeschreiber in einem so langen und intensiven Austausch gestanden. In Berlin, Dänemark, Kalifornien und später in der DDR entstanden so bedeutende Werke wie die Musik zum Lehrstück „Die Maßnahme“, Lieder und Chöre zu den Brecht-Stücken „Die Mutter“, „Galileo Galilei“ und „Schweyk im zweiten Weltkrieg“, aber auch das „Lenin-Requiem“. Trotz dieser kontinuierlichen Partnerschaft, die auch die zwischen Hofmannsthal und Strauss an Intensität übertraf, wird das Etikett „Brecht-Komponist“ der geistigen Unabhängigkeit und Vielseitigkeit Eislers nicht gerecht. So gewichtige Teile wie seine Klavier- und Kammermusik entstanden unabhängig von Brecht, stehen teilweise sogar im Widerspruch zu dessen Musikidealen.

 

Als scharfer Gegner des Nationalsozialismus hatte Eisler 1933 aus Berlin fliehen müssen. Im europäischen Exil organisierte er den Widerstand. Seine Haltung brachte er ebenso in seinen Schriften und Werken zum Ausdruck, die von kleinen Klavierstücken und Liedern bis zur groß angelegten "Deutschen Symphonie" reichen. Auf die NS-Kulturpolitik antwortete er mit dem Bekenntnis zur Moderne, zur Zwölftontechnik Arnold Schönbergs. Ab 1938 lebte Eisler als Professor in New York, dann ab 1942 in Los Angeles, wo er zusammen mit Adorno und Brecht theoretisch wie praktisch neue Möglichkeiten der Filmmusik entwickelte. Daneben entstanden in Kalifornien viele seiner wichtigsten Lieder, Orchester- und Kammermusikwerke. Bei seiner erzwungenen Abreise ehrten ihn prominente amerikanische Kollegen, an ihrer Spitze Leonard Bernstein und Aaron Copland, mit einem Abschiedskonzert.
 
Über Wien kehrte er 1950 nach Berlin zurück. Sein Enthusiasmus, in der östlichen Hälfte Deutschlands einen sozialistischen Staat aufzubauen, wurde jedoch rasch gebremst. Die Kampagne gegen das "Faustus"-Opernprojekt lähmte seine Schaffenskraft und trieb ihn in die innere Emigration. Auf Widerspruch stieß 1954 auch sein öffentliches Bekenntnis zu Arnold Schönberg. Trotz offizieller Ehrungen, die er als Komponist der Nationalhymne erhielt, wurden seine Hauptwerke in der DDR kaum aufgeführt. Hans Mayer sprach einmal von den drei Verfolgungen Hanns Eislers, womit er die durch den Nationalsozialismus, durch die McCarthy-Komitees sowie durch den Stalinismus meinte. Anders als die Verfolgungen von 1933 und 1948 bedeuteten die Behinderungen durch stalinistische Kulturpolitiker für ihn zwar keine persönliche Bedrohung. Sie lähmten jedoch seine Schaffenskraft stärker als die früheren Verfolgungsmaßnahmen. Nach der Faustus-Kampagne vom Frühjahr 1953 war Eisler in Gesundheit und Schaffenskraft nicht mehr der alte. Kurz vor seinem Tod zog Eisler in den "Ernsten Gesängen" eine düstere Bilanz. Mit seinem Namen verbinden sich die Widersprüche dieses Jahrhunderts.

Sein Schaffen umfasst Werke fast aller Besetzungen. Stärkste Eigenart zeigte er in der Vokalmusik, nicht zuletzt den Chorwerken. Sie reichen von der anspruchsvoll atonalen Polyphonie der Heine-Chöre op.10, der gesellschaftskritischen Polystilistik der Vier Stücke für gemischten Chor op. 14 (mit dem gerade vom Eisler-Chor gerne gesungenen „Kurfürstendamm“) oder der „Mutter“-Kantate bis zur plakativen Wucht des „Auf den Straßen zu singen“ op. 15. Seit Eisler ab 1927 selbst in einer Agitproptruppe mitgearbeitet hatte, waren gerade im Chorbereich Werke entstanden, die – wie etwa der „Vorspruch“ aus Opus 13 - das Publikum direkt ansprachen und auch von Laien auszuführen waren.

Auch im Bereich des einstimmigen Lieds schuf Eisler Massenwirksames wie Intimes. Sein "Hollywooder Liederbuch" hat der Wiener Musikforscher Erwin Ratz mit den großen Liederzyklen von Schubert, Schumann, Brahms und Wolf verglichen. Die neuen Impulse zur Aufführungspraxis, die der Komponist damit gab, sind, ebenso wie seine "Dialektik des musikalischen Materials" und die ständige Suche nach Vernunft in der Musik, Bestandteile einer lebenslangen pädagogischen Tätigkeit. Sie reichte von der Jugend in Wien über Berlin, New York, Los Angeles bis ins Nachkriegs-Berlin, wo Hanns Eisler ab 1951 eine Meisterklasse für Komposition der Deutschen Akademie der Künste leitete. Als Professor lehrte er an der Hochschule für Musik, die seit 1964 seinen Namen trägt.

 

Der Autor ist Musikwissenschaftler und war von 1972 bis 1989 Mitglied des Hanns Eisler Chors